Deutsche Rentenversicherung

„Die Auszahlung der Renten ist gesichert“

Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, im Interview mit dem Tagesspiegel über die Auswirkungen der Coronakrise, den Starttermin der Grundrente - und eine verpflichtende Vorsorge für Selbstständige.

Foto von Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund Quelle:Bildarchiv DRV Bund/Kruppa Gundula Roßbach Gundula Roßbach

Frau Roßbach, wir reden in diesen Tagen viel über Rettungsschirme. Braucht die Rentenversicherung auch bald einen?

Keine Sorge, die Renten sind zum Monatswechsel pünktlich ausbezahlt worden. Natürlich betrachten wir jetzt jeden Monat sorgfältig, dass die Liquidität stimmt. Wir beobachten, wie es auf dem Arbeitsmarkt läuft und in welchem Ausmaß unsere Beitragseinnahmen durch die Coronakrise zurückgehen werden. Im Moment erwarte ich, dass das Minus überschaubar ist. Die Bundesagentur zahlt uns ja weiter Beiträge, selbst wenn Menschen in Kurzarbeit sind oder arbeitslos werden. Eine genaue Einschätzung dazu ist zurzeit aber sehr schwierig.

Sie können also die Auszahlung der Renten auch in einer Rezession sicherstellen?

Ja. Die Auszahlung der Renten ist gesichert. Wir zahlen die Renten nicht nur aus Beitragseinnahmen, sondern auch aus dem Steuerzuschuss des Bundes. Wir haben außerdem eine Reserve, die wir einsetzen können.

Wie hoch ist die?

Im Moment liegt unsere Nachhaltigkeits-Rücklage bei rund 40 Milliarden Euro. Wir gehen finanziell gut ausgestattet in die Krise.

Die Rentenkommission empfiehlt eine höhere Mindestrücklage. Würden Sie damit besser durch die Krise kommen?

Das wäre auch in normalen Zeiten hilfreich. Mit einer höheren Mindestrücklage können wir monatliche Einnahmeschwankungen besser ausgleichen und so gut übers Jahr kommen. Ich finde es daher sehr wichtig, dass der Gesetzgeber das ändert.

In diesem Jahr können sich die 21 Millionen Rentner über Rentenerhöhungen von mehr als drei Prozent im Westen und gut vier Prozent im Osten freuen. Drohen in den nächsten Jahren Nullrunden?

Wie stark die Renten im Sommer 2021 steigen, hängt von der Entwicklung der Bruttolöhne in diesem Jahr ab. Im Moment können wir nicht seriös vorhersagen, wie die Entwicklung läuft. Das hängt davon ab, wie lange die Krise dauert, wie lange Unternehmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, wie lange Menschen arbeitslos sind und wie sich die Tarifabschlüsse entwickeln. Erst zum Jahresende werden wir eine Idee haben, wie stark die Auswirkungen auf die Rente sein werden. Gesetzlich festgelegt ist, dass die Renten auf keinen Fall gekürzt werden. Minusrunden kann es also nicht geben.

Wie arbeitet die Rentenversicherung in der Krise?

An oberster Stelle steht für uns, dass die Renten jeden Monat pünktlich auf dem Konto landen und dass wir Menschen aus dem Beruf in die Rente begleiten, auch die sollen ja nahtlos Geld erhalten. Um unsere Mitarbeiter zu schützen, arbeiten sie zum Teil im Homeoffice, oder sie wechseln regelmäßig zwischen Homeoffice und Präsenz. Außerdem gibt es ausgeweitete Arbeitszeiten, von morgens 4 Uhr bis abends 21 Uhr, damit die Mitarbeiter im gebotenen Abstand voneinander arbeiten können. Es gibt außerdem Mitarbeiter im Ruhestand, die sich nun freiwillig melden und anbieten, dass sie einsteigen können, wenn wir Personal benötigen. Wir achten sehr darauf, dass wir jederzeit arbeitsfähig bleiben.

Und Rentenberatung gibt es nur noch telefonisch?

Ja, die haben wir komplett umgestellt. Das wird von Vielen auch dankbar angenommen, weil sie sich den Anfahrtsweg zu einer Beratungsstelle sparen. Wir versuchen auch, die digitalen Wege stärker zu nutzen. Mit einem entsprechenden Personalausweis können Sie sich über die Online-Dienste bei uns gewissermaßen einbuchen, Informationen abrufen und Anträge stellen.

Sozialminister Hubertus Heil hält daran fest, die Grundrente pünktlich zum 1. Januar 2021 auszuzahlen. Schaffen Sie das?

Der Zeitplan ist sehr ambitioniert. Wir müssen nicht nur im Rentensystem überprüfen, wer von den 21 Millionen Rentnerinnen und Rentnern Anspruch hat, sondern auch Daten mit den Finanzämtern austauschen. Das ist ein enormer Aufwand. Nach den bisherigen Planungen ist vorgesehen, dass wir uns für die Berechnung der Grundrente jeden Monat der Grundrenten-Zeiten anschauen müssen. Bis in die 1990er Jahre hinein haben wir die Zeiten nicht vollständig elektronisch gespeichert, das macht das Ganze kompliziert. Schon seit Monaten arbeiten wir an der Umsetzung der Grundrente. Gerade führen wir sehr intensive Gespräche mit den Finanzbehörden, auch die Detailplanung für die IT läuft.

Das heißt aber, dass Sie die Auszahlung nicht garantieren können?

Wir werden in den kommenden Monaten sehen, welche Auswirkungen die Coronakrise auf unsere Arbeitsabläufe hat. Das ist natürlich ein limitierender Faktor. Bei der Umsetzung und Planung brauchen wir unsere Fachleute, die sich gut mit der Materie auskennen. Je nachdem, wie das Gesetz nachher aussieht, könnten im Einführungsjahr mehr als 3000 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforderlich werden. Ob wir bereits zum 1. Januar alle technischen Voraussetzungen haben, um alles voll maschinell umsetzen zu können, muss sich im Laufe des Jahres zeigen.

Und was ist, wenn das nicht klappt?

Das muss mit dem Ministerium und im parlamentarischen Verfahren geklärt werden. Der Gesetzgeber muss entscheiden, ob er die Einführung zum 1. Januar will - und wir dann eventuell die Leistungen erst später nachzahlen - oder ob es einen späteren Auszahlungsstart gibt.

Hat die Rentenkommission eigentlich irgendeines Ihrer Probleme gelöst?

Die Ergebnisse orientieren sich an dem, was politisch umsetzbar ist. Ich finde es gut, dass es in der Kommission einen gemeinsamen Grundkonsens gab: Der lautet, dass die Rentenversicherung der starke Kern der Alterssicherung ist und auf einem sicheren Fundament steht. Nicht zuletzt in der jetzigen Krise merkt man doch, wie gut das Umlagesystem sich an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen kann. Das ist seine Stärke.

Die demografische Entwicklung wird die gesetzliche Rentenversicherung in den nächsten Jahrzehnten finanziell enorm belasten. Wer soll das bezahlen?

Die demografischen Lasten sollten auf alle verteilt werden: Beitragszahler, Rentner und Steuerzahler. Das war auch einhellige Meinung in der Rentenkommission.

Was bedeutet das konkret?

In der Rentenversicherung gibt es verschiedene Parameter, die man verändern kann: den Beitragssatz, das Sicherungsniveau, das Renteneintrittsalter, die Steuermittel des Bundes, den Personenkreis, der die Rentenversicherung trägt. An all diesen Stellschrauben kann man etwas verändern.

Nehmen wir den Personenkreis: Hielten Sie es für sinnvoll, wenn künftig auch Beamte einzahlen müssen?

Das allein brächte wenig. Wenn man neue Beamte aufnehmen würde, wie in Österreich, zahlen diese zwar Beiträge, erwerben aber auch Rentenansprüche. Ich finde es im Moment viel dringender, diejenigen abzusichern, die keine verpflichtende Alterssicherung haben, nämlich die Selbstständigen.

Warum?

Selbstständige sind häufiger von Altersarmut bedroht, sie nehmen prozentual häufiger Grundsicherung in Anspruch als andere Beschäftigtengruppen. In nahezu allen europäischen Ländern gibt es eine obligatorische Absicherung von Selbstständigen. In Deutschland geht es um mehr als drei Millionen Personen, oft sind das Solo-Selbstständige. Wir merken jetzt gerade auch in der Coronakrise, wie prekär deren Lage oft ist. Es sollte deshalb eine Verpflichtung geben, für das Alter vorzusorgen.

Werden wir denn in Zukunft länger arbeiten müssen?

Es dauert noch bis ins Jahr 2031, bis die Rente mit 67 vollständig umgesetzt ist. Wir müssen jetzt noch nicht entscheiden, ob eine weitere Anhebung der Altersgrenze notwendig ist, dafür haben wir noch bis Mitte des laufenden Jahrzehnts Zeit.

Aber sollten die Menschen nicht schon jetzt wissen, was auf sie zukommt?

Das tatsächliche Renteneintrittsalter liegt im Moment im Durchschnitt bei 64 Jahren. In den letzten 20 Jahren hatten wir einen klaren Trend zu längerem Arbeiten. Es ist gut möglich, dass sich das in den nächsten Jahren fortsetzt. Wir sollten außerdem schauen, wie sich andere Parameter entwickeln, etwa die weiteren Prognosen zur Lebenserwartung. Es gibt Länder, in denen der Durchschnitt wieder gesunken ist, auch das verändert die Lage.

Gibt es nicht jetzt schon viele Berufe, in denen man nicht bis zum Alter von 67 durchhalten kann?

Wenn man über eine Anhebung der Altersgrenze redet, muss man sehen, dass nicht alle in der Lage sind, länger zu arbeiten. Die Österreicher haben das mit einer Schwerarbeiterregelung versucht. Allerdings hat man da mittlerweile ein richtiges Buch an Berufen, die betroffen sein könnten. Um eine bessere Absicherung zu erreichen, hat man in Deutschland die Renten für Erwerbsgeminderte deutlich verbessert.

Welchen Beitrag kann die Rentenversicherung leisten, damit Arbeitnehmer länger fit bleiben?

Die Rentenkommission sagt klar, dass wir intensiver daran arbeiten müssen, dass Menschen länger im Arbeitsleben bleiben können. Das können wir durch unsere Prävention und Rehabilitation. Es ist wichtig, dass wir frühzeitig mit Präventionsmaßnahmen in Betriebe gehen. Am Arbeitsplatz merkt man am ehesten, wenn jemand zum Beispiel psychische Probleme hat und sich zurückzieht, auch von den Kollegen. Wir können da etwa mit Angeboten zur Stressbewältigung, Ernährung und Bewegung eingreifen. Auch wenn jemand wegen leichter Depressionen krankgeschrieben wird, sollten wir schauen, dass eine stufenweise Wiedereingliederung in den Job schon frühzeitig am Anfang der Krankheit erfolgt und nicht erst am Ende. Denn Tagesstruktur und soziale Kontakte helfen den Betroffenen.

Was halten Sie von dem Vorschlag der Rentenkommission, in regelmäßigen Abständen „Haltelinien“ festzulegen, also eine Obergrenze für den Rentenbeitrag und eine Untergrenze für das Rentenniveau?

Ich glaube, das schafft Verlässlichkeit, für die Beitragszahler ebenso wie für die Rentner. Ich merke allerdings immer wieder, dass es schwierig ist, dem Einzelnen das Rentenniveau zu erklären. Das Rentenniveau ist eine sehr technische Größe. Es definiert, wie sich die Standardrente nach 45 Beitragsjahren zu einem Durchschnittsverdienst entwickelt. Es sagt aber wenig über die individuelle Rente aus.

Was bedeutet ein sinkendes Rentenniveau?

Das heißt, dass die Rentner nicht mehr zu 100 Prozent an der Lohnentwicklung teilhaben. Das bedeutet aber nicht, dass die Renten sinken. In den vergangenen Jahren hatten wir Rentenanpassungen, die deutlich über der Inflationsrate lagen.

Gäbe es denn andere Rechengrößen, die einen besseren Überblick bieten, was einen im Alter erwartet?

Leider ist das nicht so einfach. Die Rentenkommission hat aber einen guten Vorschlag gemacht: ein Abstands-Maß zur Grundsicherung. Damit kann man überprüfen, ob sich die Standardrente zu stark der Grundsicherung annähert oder ob der Abstand gewahrt bleibt.

Bereitet Ihnen die Alterung der Gesellschaft eigentlich Sorgen?

Die Rentenkommission hat uns Projektionen bis 2060 geliefert, mit neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Da sehen wir auch positive Signale: Es gibt mehr Kinder unter drei Jahren als noch vor einiger Zeit prognostiziert. Und es gibt mehr Zuwanderung. Unser Ziel sollte sein, so viele Menschen wie möglich für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Durch Zuwanderung, aber auch durch eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen. Dafür können wir einiges tun: Wir brauchen gute Kinderbetreuung, bessere Ausbildungsmöglichkeiten - und vielleicht auch eine andere Bezahlung für Arbeitsplätze, die bisher unterbewertet waren.

Das Gespräch führte Cordula Eubel.

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