Die Selbstverwaltungen der drei Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in Bayern, Nordbayern, Schwaben und Bayern Süd, haben die Zeit der NS-Diktatur für ihre Häuser – damals noch Landesversicherungsanstalten – wissenschaftlich untersuchen lassen. Aus dem gemeinsamen Forschungsprojekt entstand das Buch „Die bayerischen Landesversicherungsanstalten im »Dritten Reich«“, das der Historiker und Autor Prof. Dr. Marc von Miquel heute bei einer Pressekonferenz mit den Vorsitzenden des Vorstands der drei Regionalträger im Berufsförderungswerk Kirchseeon vorstellte.
Zentrale Erkenntnisse des Buches
Die Landesversicherungsanstalten nahmen eine zentrale Funktion in der Sozial- und Gesundheitspolitik des „Dritten Reiches“ ein. Die Verantwortlichen im NS-Regime machten sich die Strukturen der Rentenversicherung für ihre menschenverachtenden Zwecke zu Nutze. Ein Beispiel dafür ist die Praxis des Rentenentzugs. Anfänglich als Druckmittel gegen Andersdenkende eingesetzt, wurde dieser schon bald genutzt, um Juden und Staatsfeinde systematisch zu schikanieren und auszugrenzen. Schonungslos war auch das Vorgehen des Vertrauensärztlichen Dienstes und der Heilstätten der Landesversicherungsanstalten gegenüber Hilfebedürftigen und Schwachen. Beispielsweise wurden Zwangsarbeiter und Tuberkulose-Erkrankte als „arbeitsscheu“, „asozial“ und „für den Volkskörper unbrauchbar“ diffamiert und terrorisiert. Die NS-„Machtergreifung“ war zudem begleitet von institutionellen Umbrüchen: So wurde die Selbstverwaltung der Landesversicherungsanstalten zerschlagen und das Führerprinzip etabliert.
Widerstände gegen das System gab es auch innerhalb der Rentenversicherung nur vereinzelt. Beeindruckend sind etwa die Biographien der Gewerkschafter und Sozialdemokraten Gustav Schiefer und Max Peschel. Als engagierte Selbstverwaltungsmitglieder wurden beide während der NS-Zeit misshandelt und schikaniert. Gleichwohl oder gerade deswegen wurden beide nach 1945 zu zentralen Figuren des Wiederaufbaus der in München beheimateten Landesversicherungsanstalt Oberbayern.
Die Vorsitzenden des Vorstands der Rentenversicherungsträger dankten Prof. von Miquel für die fundierte und ehrliche Darstellung und betonten in ihren Statements die Lehren, die sie aus der Geschichte ziehen.
Dr. Verena Di Pasquale, Vorsitzende des Vorstandes der DRV Bayern Süd und stellvertretende Vorsitzende des DGB Bayern:
„Mein Fazit lautet: Die Erkenntnisse dieses Buches sollten uns allen Mahnung und Aufforderung zugleich sein, wachsam zu bleiben und für unsere Werte – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit – aktiv einzutreten.“
Stephan Doll, Vorsitzender des Vorstandes der DRV Nordbayern und Geschäftsführer der DGB Region Mittelfranken:
„Die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten und sich der historischen Verantwortung offen und selbstkritisch zu stellen, halte ich in Zeiten eines massiven Rechtsrucks bei der Europawahl für absolut überfällig und wichtig. Gemeinsam ist es unsere Aufgabe, die Demokratie zu verteidigen.“
Ludwin Debong, Vorsitzender des Vorstandes der DRV Schwaben und Vorsitzender des DGB-Kreisvorstandes Allgäu:
„Nach mehr als 70 Jahren Kontinuität in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung kann uns heute ein Blick zurück lehren, wie fragil auch etablierte Strukturen in der Bedrohung durch antidemokratische Kräfte sein können.“
Hintergrund:
Die Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung Schwaben, Nordbayern und Bayern Süd sind in Bayern für mehr als 8 Mio. Versicherte und Rentner zuständig. Sie zahlen Renten aus, bewilligen Leistungen zur Rehabilitation und betreiben eigene Rehakliniken. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind sie nach dem Prinzip der Selbstverwaltung organisiert.
Nähere Informationen finden Sie auf den Webseiten der Rentenversicherungsträger:
www.deutsche-rentenversicherung.de/BayernSued
www.deutsche-rentenversicherung.de/Schwaben
www.deutsche-rentenversicherung.de/Nordbayern
Das Buch „Die bayerischen Landesversicherungsanstalten im »Dritten Reich«" ist ab sofort verfügbar unter: Download