Vorstandsvorsitzender Professor Sommer:
„Reha muss früher greifen – und Prävention zügig ausgebaut werden“
„Wir brauchen eine neue Reha. Eine, die früher greift, und zwar schon bei ersten gesundheitlichen Beschwerden.“ Diesen Appell richtete der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover Professor Michael Sommer jetzt an die Vertreterversammlung des Rentenversicherers. Der Bedarf an medizinischen Behandlungen werde in den kommenden zehn Jahren noch steigen, sagte er beim Treffen der Delegierten in Bad Pyrmont: Es gebe immer mehr junge Patienten mit Adipositas, Diabetes und psychischen Leiden. Gleichzeitig steige das Alter vieler Rehabilitanden wegen des späteren Renteneintritts. Das zeige: „Rehabilitation darf sich nicht mehr nur darauf beschränken, Erwerbsminderungsrenten zu vermeiden oder zu verzögern!“
„Reha vor Rente“ – jahrzehntelang war dieser Grundsatz der gesetzlichen Rentenversicherung das Erfolgsmodell, um eine Erwerbsminderung abzuwenden. „Das wird künftig nicht mehr ausreichen, wenn wir Menschen nachhaltig in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wiedereingliedern wollen“, sagte der Vorstandsvorsitzende. Deshalb müsse jetzt die Prävention zügig ausgebaut werden. Dieses noch junge Angebot der Rentenversicherung greift weit vor einer Reha und soll dabei helfen, Krankheiten schon bei ersten Warnzeichen abzuwenden: mit Reha-Beratern als Lotsen im System und in komplexen Fällen auch mit persönlichen Fallmanagern.
Mit dem Flexi-Rentengesetz habe die gesetzliche Rentenversicherung bereits Kompetenzen im Bereich der Prävention bekommen. Nun forderte Professor Sommer den Gesetzgeber auf, ihr weitere Zuständigkeiten zum Erhalt und Wiederherstellen der Gesundheit von Beschäftigten zu übertragen. Notwendig sei eine „Neuordnung unseres gegliederten Sozialleistungssystems, die aus unserer Sicht zu noch besseren Strukturen in der Präventions- und Reha-Landschaft führen könnte“, so der Vorstandsvorsitzende.
Nach wie vor sei Reha der wichtigste Ansatz, um dauerhaft erwerbsfähig zu bleiben, – und darüber hinaus eine lohnende Investition: 85 Prozent der Patienten gingen auch 24 Monate danach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, so Professor Sommer. „Zur Wirklichkeit zählt aber auch, dass der überwiegende Teil der neuen Erwerbsminderungsrentner zuvor keine Reha erhalten hat.“ 2016 seien das rund zwei Drittel dieser frühzeitigen Rentner gewesen, also 125.000 Menschen. Dies zeige deutlich, dass der Reha-Bedarf höher sei, als es die Antragszahlen widerspiegelten.
Hier sieht die Selbstverwaltung Handlungsbedarf. So müsse etwa der Zugang zur Reha erleichtert werden. Haus- und Betriebsärzte, Arbeitgeber und Betriebsräte und nicht zuletzt die Versicherten bräuchten gezieltere Informationen und Beratung – und vereinfachte Anträge, Formulare und Verwaltungsabläufe. Außerdem solle ein Gesamtkonzept für die „Gesundheit im Betrieb“ entwickelt werden, damit Beschäftigte möglichst bis zur Regelaltersgrenze erwerbsfähig bleiben können. Der Vorstandsvorsitzende mahnte zudem eine engere Zusammenarbeit mit der Krankenversicherung an. „Denn eine qualitativ gute Krankenbehandlung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Reha.“
Die Vertreterversammlung ist das oberste Selbstverwaltungsgremium der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover. Die 30 ehrenamtlichen Delegierten werden jeweils zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gewählt und entscheiden regelmäßig über den zweitgrößten öffentlichen Haushalt in Niedersachsen.
Nr. 8/19