Das Schicksal von Hilde Coppi bewegt gerade viele Menschen in dem Kinofilm, „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen, der auf der Berlinale 2024 Weltpremiere feierte. Als die Widerstandskämpferin im September 1942 durch die Gestapo verhaftet wird, ist sie bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA), der Vor-Vorgängerin der Deutschen Rentenversicherung beschäftigt.
Am 12. September 1942 bleibt Betty Gertrud Käthe Hilda, genannt Hilde, Coppi ohne Erklärung dem Dienst fern. Die damals 33-Jährige ist seit dem 15. September 1939 bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) in Berlin-Wilmersdorf, in der Ruhrstraße 2 beschäftigt. Zunächst arbeitet sie als Aushilfskraft bei der Hauptkasse.
Hilde Coppi von ihrem Vorgesetzten gelobt und befördert
Da der Hauptkassendirektor mit ihren Leistungen sehr zufrieden ist und sie als „sehr fleißige, arbeitsame und tüchtige Arbeitskraft“ beschreibt, wird Hilde Coppi (geborene Rake) am 1. März 1940 bei der RfA in der Hauptkasse, Abteilung Gehaltsbuchhaltung fest angestellt. Bei ihrer Bewerbung Ende Februar 1940 muss sie – neben Lebenslauf und Führungszeugnis – auch Fragebögen zur nationalsozialistischen Einstellung einreichen. Nach ihrer Heirat mit dem fast sieben Jahre jüngeren Maschinenbauer Hans Coppi am 14. Juni 1941 muss sie den Arier-Nachweis ihres Mannes vorlegen.
Das Fernbleiben von Coppi an diesem schicksalhaften Septembertag wird in ihrem Arbeitsumfeld als sehr ungewöhnlich empfunden, da sie sonst für Fehlzeiten immer entschuldigt ist. Derweil bemüht sich die Präsidialabteilung der RfA das unentschuldigte Fehlen Coppis aufzuklären. Erst durch Telefonate mit ihrer Mutter stellt sich heraus, dass sich Hilde in Polizeigewahrsam befindet.
Gestapo verweigert RfA Auskunft über Coppi
Das zuständige Polizeirevier verweist auf die Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße 8, Zimmer 416. Auf telefonische Anfrage der Dienststelle bei der Gestapo wird mitgeteilt, dass es sich in dem Fall um eine „größere Sache“ handelt, die Beurteilung von Frau Coppi noch nicht geklärt ist und nähere Auskunft erst nach Abschluss der Verhandlungen gegeben werden kann.
Als sich die RfA nach zehn Tagen telefonisch um Informationen bemüht, erhält sie keine Auskunft mehr. Zwei Briefe des RfA-Präsidiums an die Gestapo mit der Bitte „um Mitteilung über den Stand der Angelegenheit“ bleiben unbeantwortet. Der letzte wurde am 30. Oktober 1942 gesendet.
Ehemalige RfA-Kollegin und Zeitzeugin erinnert sich
Gerüchte über ihre Verhaftung sickern unter den Mitarbeitenden nur langsam durch. „Dass sie dann auf einmal wegblieb bei uns, ohne Urlaub zu haben oder so was, das war schon eine Sensation“, erinnert sich Senta Peter, eine ehemalige Arbeitskollegin Coppis bei der RfA, die bis zu ihrer Pensionierung bei der RfA-Nachfolgerin Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) tätig war.
Von den Gründen ihrer Inhaftierung und ihren politischen Aktivitäten ahnt Peter damals nichts: „Ich habe in keiner Weise auch nur annähernd etwas […] von ihr in dieser Form mitgekriegt […] Wenn man sich unterhalten hat, hat man ein bisschen privat gesprochen […] Und sonst dienstlich!“
Am 25. Januar 1943 erfährt die RfA durch einen Anruf des Kriminalkommissars Strübing aus dem Reichssicherheitshauptamt: „Frau Coppi ist abgeurteilt worden!“ Das Urteil „wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“ erfolgt im dritten Teilprozess gegen die Angeklagten der „Roten Kapelle“.
Der letzte Brief von Hilde Coppi an die RfA aus dem Gefängnis
Coppis Hoffnung wegen der Geburt ihres Sohnes Hans (am 27. November 1942 im Berliner Frauengefängnis Barnimstraße) nicht zum Tode verurteilt zu werden, erweist sich als trügerisch. Ihr Gnadengesuch wird von Adolf Hitler persönlich zurückgewiesen. Sie darf noch am Leben bleiben, solange sie ihr Kind stillt.
Aus dem Gefängnis schreibt Coppi am 18. März 1943 einen Brief an den Präsidenten der RfA mit der Bitte, ihre Unterlagen an ihre Mutter zu übersenden. Darin grüßt sie zum Abschied auch ihren Dienststellenleiter und ihre ehemaligen Kolleginnen. Coppi lässt diese wissen, dass sie immer sehr gerne mit ihnen gearbeitet und ihr die Arbeit viel Freude bereitet habe.
Hilde Coppi wird am 5. August 1943 um 19:24 Uhr in Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet.
Studierende präsentieren Forschungsprojekt bei Gedenkfeier für Hilde Coppi zum 60. Todestag
Die spannenden Einblicke und dokumentierten Erkenntnisse über das Beschäftigungsverhältnis von Hilde Coppi bei der RfA und die tragischen Umstände ihrer, aus Sicht ihrer Vorgesetzten und Kolleginnen, plötzlichen und unerwarteten Inhaftierung sind einem Forschungsprojekt der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Sozialversicherung, von Anfang der 2000er-Jahre zu verdanken. Die Forschung wurde von Dozent Bernhard A. Schäfer und Historikerin Petra Winarsky betreut und wissenschaftlich begleitet.
Die Ergebnisse ihrer Recherchen stellten die Studierenden am 5. August 2003, dem 60. Todestag Coppis, im Rahmen einer Gedenkfeier vor. Unter den geladenen Ehrengästen befand sich auch Dr. Hans Coppi, der Sohn von Hilde Coppi. Bei der Präsentation konnten die Studierenden nicht nur mit Details aus der Personalakte, sondern auch mit einer Zeitzeugin überraschen.
Sie hatten Senta Peter, ihre ehemalige RfA-Kollegin, während ihre Forschung interviewt. Bei der Präsentation schilderte Peter sehr eindrucksvoll Hilde Coppi und die Umstände ihres Verschwindens. Im Anschluss an die Gedenkfeier wurde die Ausstellung „Hilde Coppi 1909 – 1943. RfA-Angestellte und Widerstandskämpferin“ eröffnet, die noch heute im Dienstgebäude der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in Berlin-Wilmersdorf in der Ruhrstraße 2 zu sehen ist.
Dreh an Originalschauplätzen in den Dienstgebäuden der Deutschen Rentenversicherung
Der deutsche Regisseur Andreas Dresen erzählt in seinem neuesten Film „In Liebe, Eure Hilde“ das Schicksal der Widerstandskämpferin, der an Originalschauplätzen in den Dienstgebäuden der DRV in der Ruhrstraße 2 im Jahr 2022 gedreht wurde. Am 17. Februar 2024 feierte der Film bei der Berlinale Weltpremiere, läuft im Wettbewerb und kann sich Hoffnung auf einen Bären machen.
Kinostart: Ab 17. Oktober in allen deutschen Kinos.