Die Ostseeklinik in Ückeritz war das erste Reha-Zentrum der Deutschen Rentenversicherung Bund, das infolge der Corona-Pandemie Patienten und Patientinnen zur Entlastung der Akutversorgung betreute. Es handelte sich um 21 pflegebedürftige Senioren und Seniorinnen. Am 27. März zogen sie aus einem Altenpflegeheim im rund 15 Kilometer entfernten Ahlbeck in die Ostseeklinik. In ihrem Heim gab es mehrere Corona-Fälle. Vor dem Umzug waren alle 21 negativ auf COVID-19 getestet worden. Ein weiterer Test war zum Zeitpunkt des Interviews bereits in der Auswertung. Leider stellte sich bei diesem zweiten Test heraus, dass vier Senioren und Seniorinnen ebenfalls mit dem Coronavirus infiziert waren. Sie mussten wieder in ihr Altenpflegeheim zurückverlegt werden.
Insgesamt hat das Reha-Zentrum Ückeritz vom 27. März bis zum 11. Mai Senioren aus einem Pflegeheim des benachbarten Ahlbeck gepflegt. Seit dem 19. Mai 2020 werden wieder Rehabilitandinnen und Rehabilitanden im Haus betreut.
Frau Dr. Kohlmann, wie und wann haben Sie von der Verlegung der Seniorinnen und Senioren erfahren und wie schnell musste alles gehen?
Dr. Silvie Kohlmann: Ich habe am Freitag, den 27. März, um 12:30 Uhr einen Anruf von der Sozialdezernentin des Landkreises Vorpommern-Greifswald erhalten. Sie hat mir das Problem geschildert und gefragt, ob die Möglichkeit bestünde, die Seniorinnen und Senioren in unserem Reha-Zentrum aufzunehmen. Wir haben uns intern mit der kaufmännischen Leitung und der leitenden Pflegekraft zusammengesetzt und formuliert, welche Bedingungen erfüllt sein müssen und was wir an Pflegebetten und sonstigen Utensilien brauchen. Wir haben dann wieder mit der Sozialdezernentin Kontakt aufgenommen. Sie hat sich darum gekümmert und zugesagt, dass wir die benötigten Pflegebetten bekommen und das Technische Hilfswerk die Betten im Pflegeheim abbauen und bei uns wieder aufbauen wird. Kurz nach 14 Uhr hatte ich schon die Unterlagen zu den Patientinnen und Patienten. Nachdem ich mir in der Hauptverwaltung in Berlin die Freigabe geholt hatte, kamen bereits um 16 Uhr die ersten Patienten im Krankentransportwagen. Es haben alle mitgeholfen, vom Pflegepersonal bis zur Leitung. Wir haben alle Patienten am Arm reingeführt, Rollstühle und Liegen geschoben. Die an sich freigestellten Pflegekräfte waren zeitnah im Haus.
Ein Reha-Zentrum ist ja eigentlich auf eine komplett andere Klientel eingestellt. Was haben Sie für Ihre „neuen Gäste“ in der Klinik verändert?
Kohlmann: Fast alles. Die Dienstzeiten der Mitarbeiter wurden angepasst, aus sechs Zimmern wurden die normalen Betten abgebaut. Wir haben stattdessen vom Technischen Hilfswerk Pflegebetten bekommen, die am Freitagabend hier noch aufgebaut wurden. Wir haben Pflegeutensilien besorgt, die wir vorher nicht hatten. Toilettenstühle haben zum Teil unsere Mitarbeiter mitgebracht. Wir haben jede Menge improvisiert. Jeder hat Wäsche hochgetragen und versucht, das entsprechend einzurichten, wie es eben ging für die erste Nacht. Das war natürlich für alle sehr aufregend, vor allen Dingen auch für unsere neuen „Bewohner“, wie wir sie nennen. Die älteren Herrschaften waren natürlich auch etwas durcheinander.
Welche Unterstützung haben Sie bekommen?
Kohlmann: Die Sozialdezernentin hat die Patientenaufnahme perfekt begleitet und war die ganze Zeit bis 22 Uhr vor Ort. Jede Menge Pflegekräfte sind kurzfristig in die Klinik gekommen und haben tüchtig mitgeholfen und den Hauptanteil der Arbeit geleistet. Es gab unfassbar viel Engagement. Die Rezeption hat mitgeholfen, die Oberschwester war die ganze Zeit da. Das hat sehr gut funktioniert. Per Telefon standen wir in Kontakt mit der Verwaltungsleitung des Pflegeheims, aus dem die Patienten kommen. Immer wenn wir gemerkt haben, dass uns noch etwas fehlt, zum Beispiel Windeln oder Windelhosen, dann hat sie das zusammengestellt, so dass wir nicht nur die „Gäste“ in der Klinik begrüßt haben, sondern auch jede Menge Hilfsmittel geliefert bekommen haben, die Medikamente, die Akten der Patienten. Es ist sozusagen ein kleiner Umzug gewesen, der sich zwischen 16 Uhr und 22:30 Uhr hier abgespielt hat.
Wie gehen die Mitarbeitenden der Klinik Ostseeblick mit der Situation um?
Kohlmann: Überwiegend sehr positiv. Es ist ausreichend Schutzkleidung vorhanden. Der Landkreis liefert jetzt wieder nach. Er hat uns noch am Freitagabend mit weiteren Masken unterstützt. Wir haben über unseren Einkauf erfolgreich neue Schutzausrüstung beschafft. Wir haben Umkleiden für unser Personal eingerichtet, das ist wichtig, damit sie sich entsprechend schützen können. Es ist eine ganz andere Form der Pflege für unsere Pflegekräfte, es ist wirklich Schwerstpflege. Sie sind sehr gefordert. Wir verstärken auch, indem wir die Servierkräfte, die Physiotherapeuten und andere Mitarbeiter des Hauses einsetzen, um die Pflege von pflegefremden Tätigkeiten zu entlasten.
Natürlich schwingt auch immer Angst mit. Da versuchen wir durch Aufklärung etwas Ruhe reinzubringen, denn es handelt sich ausschließlich um Patienten, deren Corona-Test negativ war, die lediglich in Kontakt standen mit anderen Bewohnern des Pflegeheims, die positiv sind. Die positiv auf Corona getesteten Bewohner des Pflegeheims sind dort verblieben, zwei von ihnen werden im Krankenhaus behandelt.
Es gibt hier wirklich ein großes Engagement. Unseren Mitarbeitern, Pflegekräften und meinen beiden ärztlichen Kollegen gebührt großes Lob. Es ist ein gutes Miteinander im Sinne der Gäste, die wir im Moment im Haus haben.
Weiß man schon, wie lange diese Situation anhalten wird? Gibt es eine Chance, dass die Seniorinnen und Senioren bald wieder in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren können?
Kohlmann: Wir hoffen sehr, dass nach 14 Tagen Quarantäne, die die Bewohner des Pflegeheims bei uns verbringen, der Rücktransport erfolgen kann. Dann können sie in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren. Voraussetzung ist, dass die Tests negativ sind. Wir hoffen alle, sowohl für die uns anvertrauten Seniorinnen und Senioren als auch für die Klinik, dass das so eintreten wird. Die ungewohnte Situation zur Zeit zeigt einmal mehr, auf wen man sich verlassen kann, und es entstehen ganz tolle Verbindungen auch zwischen den Mitarbeitern. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt. Wir stemmen das gemeinsam, aber es ist ein Kraftakt, ohne Frage.