Marburger Tage 2025
Die 47. Marburger Tage, eine Fortbildungsveranstaltung der Deutschen Rentenversicherung Hessen für Ärztinnen und Ärzte sowie Sozialmedizinerinnen und Sozialmediziner, fanden in der Klinik Sonnenblick vom 8. bis 9. Mai statt. Rund 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zu Fachvorträgen und Diskussionen angereist.
Thomas Hild-Füllenbach und Dr. Michael Stegmann von der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Hessen eröffneten die Tagung und Professor Ulf Seifart, Leitender Ärztlicher Direktor der Deutschen Rentenversicherung Hessen und Ärztlicher Direktor der Klinik Sonnenblick, begrüßte die Tagungsgäste mit einem kurzen Überblick über die aktuellen politischen Entwicklungen in der Rehabilitation und der Sozialmedizin. Matthias Strecker, Leiter des Sozialmedizinischen Dienstes der Deutschen Rentenversicherung Hessen, stellte kurz die Arbeitsabläufe und Zielsetzungen der Prozesse in den Ärztlichen Untersuchungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Hessen dar. Hierbei fokussierte er sich abschließend darauf, dass für Patientinnen und Patienten, denen eine befristete Teilerwerbsminderungsrente genehmigt wurde und bei denen kein verbessertes Leistungsvermögen
zu attestieren ist, eine erneute Begutachtung durch die Ärztlichen Untersuchungsstellen zukünftig entfallen kann.
Professor Dr. Seifart erläuterte die Veränderungen im Zuweisungssystem seit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verbesserung der Transparenz in der Alterssicherung und der Rehabilitation“, kurz Trio-Gesetz genannt, und legte die neuesten Entwicklungen bei Antragseingang und Belegungsquote dar. In einer bundesweiten Analyse durch die Deutsche Rentenversicherung Bund konnte gezeigt werden, dass unter den aktuellen Voraussetzungen das gewählte System (Belegung nach Qualitätsparametern beziehungsweise bei Wunsch- und Wahlrecht) den Anforderungen der Patientinnen und Patienten der Deutschen Rentenversicherung, aber auch denen der Marktteilnehmer entspricht.
Neue Entwicklungen in der Onkologie
Die neuesten Entwicklungen in der Onkologie und deren Auswirkungen auf die sozialmedizinische Beurteilung waren Thema des ersten Fachvortrags. Professor Dr. Seifart zeigte auf, dass sich die Prognose onkologisch erkranter Patientinnen und Patienten dramatisch verbessert hat und dass die sozialmedizinische Beurteilung nicht, wie in der Vergangenheit, anhand der Prognose, sondern vielmehr anhand der Funktionseinschränkungen der Patientinnen und Patienten, die durch die Tumorerkrankung beziehungsweise deren Therapie bedingt sind, erfolgen muss. Hierbei wurde auch auf die bestehenden Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) hingewiesen. Eine klare und effiziente sozialmedizinische Beurteilung erscheint in dieser Patientengruppe, wie auch in vielen anderen, deswegen so bedeutsam, da Menschen mit einer Krebserkrankung gefährdet sind, an der Erkrankung beziehungsweise an den Therapiefolgen zu verarmen und dadurch nicht nur eine Einbuße der Lebensqualität, sondern möglicherweise auch der onkologischen Prognose erleiden könnten.
Künstliche Intelligenz
Professor Dr. Dominikus Herzberg von der Technischen Hochschule Mittelhessen präsentierte sehr eindrücklich die Möglichkeiten und Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Neben den zum Teil sehr beeindruckenden und enormen technischen Möglichkeiten sowie dem Wissenszuwachs, der am Beispiel des Systems ChatGPT demonstriert wurde, wies Professor Dr. Herzberg aber auch eindringlich auf die Risiken bei ungefilterter Nutzung dieser Technik hin. Insbesondere durch die nun erschöpfte Datenbasis und die jetzt möglicherweise redundanten Wissenseinspeisungen stellt diese Technik eine, so Professor Dr. Herzberg, „Risikotechnologie“ dar, deren Nutzung man immer kritisch betrachten sollte.
Hierbei betonte der Informatiker, dass die Nutzung des gesunden Menschenverstandes sehr hilfreich sei und man Informationen in Themenbereichen, in denen man selbst keine Expertin oder kein Experte ist, immer kritisch reflektieren sollte. Der Referent und das Auditorium waren sich aber einig, dass an dieser Technologie in Zukunft kein Weg vorbeiführt und von daher diese technische Möglichkeit in Zukunft auch vermehrt in der Rentenversicherung und in der Rehabilitation genutzt werden wird.
Epilepsie
Professorin Dr. Susanne Knake, Leiterin des Epilepsiezentrums Hessen (EZH) des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM), referierte sehr eindrücklich über die Erkrankung Epilepsie, deren Differenzialdiagnose und die zum Teil sehr komplexe Diagnostik. Fernerhin ging sie auf die aktuellen Leitlinien der medikamentösen wie auch der operativen Therapien der Erkrankung ein. Die sozialmedizinischen Konsequenzen dieser Erkrankungen
für Patientinnen und Patienten wurden sehr intensiv diskutiert, beispielsweise die Folgen von Fahrverboten für Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer. Hier besteht durchaus die Option, dass aufgrund eines längeren Fahrverbotes eine Leistungsfähigkeit in dieser Tätigkeit nicht mehr gegeben ist und hier frühzeitig auch eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht gezogen werden sollte.
Chirurgische Erkrankungen
Dr. Dominik Wiese, Facharzt für Allgemeine Chirurgie von der Ärztlichen Untersuchungsstelle Marburg und ehemaliger Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie des UKGM Marburg, stellte die „Fallstricke in der sozialmedizinischen Begutachtung bei chirurgischen Erkrankungen“ dar. Dr. Wiese ging hier intensiv auf die neueren, aber auch schon etablierten operativen Verfahren ein, inklusive des so genannten Roboters, mit dessen Hilfe zunehmend auch komplexere und größere Operationen durchgeführt werden können. Der Chirurg betonte aber, dass der Unterschied zu den bisher durchgeführten Operationen lediglich in dem so genannten Zugangsweg liegt. Die eigentliche Operation und deren Folgen für Patientinnen und Patienten unterscheiden sich durch diese neuere Technik nicht.
Durch den alternativen Zugangsweg wird aber die Bauchwand in der Regel weniger traumatisiert und ist somit in der Folgezeit stabiler. Dies hat somit auch eine direkte Konsequenz bei der sozialmedizinischen Beurteilung der Patientinnen und Patienten. Dr. Wiese betonte aber, dass die in der Vergangenheit häufig getätigte Empfehlung des Vermeidens von Heben und Tragen von Lasten von fünf bis zehn Kilogramm über drei bis sechs Monate aktuell nicht mehr gilt, sondern dass bei einem unkomplizierten Verlauf eine möglichst schnelle Mobilisierung und Reintegration in den Alltag anzustreben ist. Hierbei ist die schmerzadaptierte Belastung der Bauchdecke ein momentan empfohlenes Vorgehen.
Dr. Wiese stellte weiterhin die möglichen Komplikationen solcher Operationen und deren Folgen für die sozialmedizinische Beurteilung, aber auch die sozialmedizinische Bedeutung der Anlage eines künstlichen Darmausganges (Anus praeter) dar.
Fazit
Den Abschluss der zweitägigen Veranstaltung bildete der Vortrag von Dr. Peter Hagen, ehemaliger Leitender Abteilungsarzt der Orthopädie der Klinik Sonnenblick sowie aktuell Gutachter der Rentenversicherungsträger Hessen und Bund sowie für private Unfallversicherungen. Dr. Hagen berichtete aus seinem Erfahrungsschatz von inzwischen 50 Jahren Begutachtung. Ein persönliches Resümee, in dem noch einmal sehr deutlich wurde, wie sich die Begutachtungssituation in den letzten Jahrzehnten geändert hat und welche Neuerungen sich ergeben haben. Zwischendurch gab der erfahrene Gutachter immer wieder praktische Tipps, die für das tägliche Leben bei Begutachtungen hilfreich sein können.
Die Fortbildungsveranstaltung wurde von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern als sehr positiv wahrgenommen. Neben weitreichendem fachlichen Informationszugewinn konnten über die einzelnen Einrichtungen hinaus viele persönliche Kontakte geknüpft werden, die dem Miteinander zwischen den Institutionen, aber auch innerhalb der eigenen Einrichtung sicher hilfreich zugutekommen.
Der Verlauf der 47. Marburger Tage war so positiv, dass alle Teilnehmenden sich einig sind, dass im Jahr 2026 die 48. Marburger Tage stattfinden sollen. Hierzu wird entsprechend eingeladen werden. Bei Interesse können sich Sozialmedizinerinnen und -mediziner aus Hessen per Mail an klinik-sonnenblick@drv-hessen.de melden.
Professor Dr. Ulf Seifart, Klinik Sonnenblick