Interview zum Projektabschluss PRO AKTIV
Wie können Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden? Ein innovatives Projekt der Deutschen Rentenversicherung Westfalen und zweier Jobcenter zeigt, wie engmaschige Betreuung und Zusammenarbeit zwischen Institutionen einen echten Unterschied machen können. Wiebke Denner, Mitarbeiterin der Deutschen Rentenversicherung Westfalen, hat als Projektkoordinatorin PRO AKTIV von Beginn an begleitet.
Wiebke Denner, das Projekt PRO AKTIV hat eine enge Zusammenarbeit zwischen der DRV Westfalen und den Jobcentern im Ennepe-Ruhr-Kreis und im Märkischen Kreis zum Ziel. Was war der grundlegende Ansatz dieses Projekts?
Der Grundgedanke von PRO AKTIV war es, langzeitarbeitslose Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen gezielt und individuell zu unterstützen. Viele dieser Menschen wussten selbst nicht, wie krank sie eigentlich sind und waren aufgrund der langen Arbeitslosigkeit vom Arbeitsmarkt entfremdet. Unsere Aufgabe war es, gemeinsam mit den Lotsinnen und Lotsen der Jobcenter mit engmaschiger Beratung und passgenauen Angeboten zu helfen, ihre Erwerbsfähigkeit zu verbessern und sie in passende Beschäftigungen zu vermitteln.
Welche Rolle spielte die Teilhabeberatung der DRV Westfalen dabei?
Die Teilhabeberatung war ein zentraler Bestandteil des Projekts. Sie hatte die Aufgabe, die Lotsinnen und Lotsen dabei zu unterstützen, Rehabilitationsbedarfe zu identifizieren und einen Plan zu erarbeiten, wie die Projektteilnehmenden am besten unterstützt werden können. Wir haben frühzeitig erkannt, wie wichtig es ist, die gesundheitlichen Einschränkungen vollumfänglich zu erfassen und mit den Jobcentern zusammenzuarbeiten, um die passenden Rehabilitationsleistungen zu identifizieren. Oft hat die Teilhabeberatung in Fallbesprechungen mit den Jobcentern Informationen ausgetauscht, die es ermöglichten, mit den Teilnehmenden gezielt auf Anträge für Rehabilitationsleistungen, egal ob bei uns, anderen Rentenversicherungsträgern oder der Arbeitsagentur hinzuwirken und so frühzeitig den Rehabilitationsprozess mitzugestalten.
Wie wurden die Teilnehmenden des Projekts ausgewählt und betreut?
Die Teilnehmenden waren langzeitarbeitslose Menschen im Bürgergeldbezug, die gesundheitliche Einschränkungen hatten. Viele hatten Schwierigkeiten, aufgrund psychischer oder körperlicher Erkrankungen in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Die Jobcenter haben eine intensive Betreuung im Verhältnis von 1:50 durch Lotsinnen und Lotsen realisiert, die sich persönlich um die Teilnehmenden kümmerten. Die Teilhabeberatung war neben der Rolle als Reha-Fachberatung auch unterstützend bereits vor einer möglichen Antragstellung in den Beratungsprozess eingebunden. Das ermöglichte eine enge Begleitung, Vertrauensaufbau und individuelle Unterstützung, die für den Erfolg des Projekts entscheidend waren. Die Zusammenarbeit der Teilhabeberatung der DRV Westfalen und der Lotsinnen und Lotsen war sehr eng und so auch immer ein kurzfristiger Austausch möglich.
Welche Erfolge konnten durch das Projekt erzielt werden?
Ein wichtiger Erfolg war, dass 76 Teilnehmende in sozialversicherungspflichtige Vollzeit- oder Teilzeitstellen vermittelt werden konnten. Weitere 56 nahmen einen Minijob auf und 15 starteten eine Ausbildung. Darüber hinaus konnten wir 145 Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in die Wege leiten beziehungsweise Bestandsverfahren wiederaufleben lassen. Die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Fachkräfte war besonders wertvoll, da wir so frühzeitig Informationen zu den Teilnehmenden erhielten, die uns halfen, passgenaue Lösungen zu finden.
Was waren die größten Herausforderungen, denen das Projekt gegenüberstand?
Eine große Aufgabe war die frühzeitige Identifikation der gesundheitlichen Einschränkungen. Viele Teilnehmende waren sich zu Beginn nicht bewusst, wie stark ihre gesundheitlichen Probleme sie beeinträchtigten. Oft fehlten auch konkrete Diagnosen, und unsere Teilhabeberaterin beziehungsweise unser Teilhabeberater musste zusammen mit den Lotsinnen und Lotsen der Jobcenter darauf hinarbeiten, die gesundheitliche Situation der Teilnehmenden zu ergründen. Auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen war anfangs nicht ganz einfach, aber wir haben gelernt, wie wichtig ein enger Austausch ist.
Was war neben dieser direkten Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg?
Alle Beteiligten haben an einem Strang gezogen und hatten stets die Betroffenen im Blick, aber vor allem bestand ein echtes Interesse daran, die fremde Institution kennen und verstehen zu lernen. Wir wussten zwar, was die Jobcenter machen, kannten aber deren Handlungsvoraussetzungen und Prozesse nicht und genauso ging es den Mitarbeitenden der Jobcenter mit der DRV Westfalen. Die Offenheit, Neues kennenzulernen und die Prozesse im Projekt regelmäßig im Sinne eines lernenden Systems zu hinterfragen, war essentiell.
Was haben Sie persönlich aus dem Projekt gelernt?
Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, dass Institutionen wie die DRV Westfalen und die Jobcenter Hand in Hand arbeiten. Der direkte Draht zwischen den Fachkräften aus den verschiedenen Bereichen hat sich als unglaublich effektiv erwiesen. Wir konnten so viele Hindernisse schneller überwinden und den Teilnehmenden gezielte Hilfe bieten. Es hat mir gezeigt, wie viel Veränderung möglich ist, wenn man sich wirklich auf die Bedürfnisse der Menschen einlässt und systematisch zusammenarbeitet.
Wie wurde das Projekt wissenschaftlich begleitet?
Das Modellvorhaben wurde durch das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen wissenschaftlich begleitet. Dabei wurde nicht nur untersucht, welche Auswirkungen die Teilnahme an PRO AKTIV auf die Teilnehmenden hat, sondern auch welche Bedeutung das Modellvorhaben für die involvierten Institutionen und deren Mitarbeitende hat.
Und, was ist dabei herausgekommen?
Es hat sich gezeigt, dass die besonderen Ansätze in PRO AKTIV wirksam sind. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit erforderte einen Haltungswandel auf allen Seiten und ermöglichte eine ergebnisoffene Beratung. Die enge Zusammenarbeit steigert die Effizienz und kann Integrations- und Rehabilitationsprozesse verkürzen. Mithilfe der Jobcenter können wir darüber hinaus als DRV Westfalen Versicherte erreichen, die sonst vielleicht nie einen Antrag bei uns stellen würden und haben so einen neuen Rehazugang eröffnet.
Wie geht es jetzt nach Abschluss des Projekts weiter?
Das Projekt wirkt nachhaltig. Es wurden Kooperationsvereinbarungen zwischen der DRV Westfalen und den beiden beteiligten Jobcentern geschlossen, die sicherstellen, dass die erfolgreiche Zusammenarbeit fortgeführt wird. Zudem wird derzeit geprüft, ob wir weitere Kooperationen nach dem Vorbild von PRO AKTIV mit anderen Jobcentern in Westfalen eingehen können.
Zwei Beispiele für die erfolgreiche Arbeit des Projekts PRO AKTIV
Peter, 40 Jahre
seit seiner Ausbildung arbeitslos, psychische Erkrankung, seit acht Jahren im Leistungsbezug
PRO AKTIV: Beratungsgespräche, Einzelcoaching, Vermittlung in Arbeitsgelegenheit
Das Ergebnis: Peter arbeitet mittlerweile unbefristet in Vollzeit
Martina, 29 Jahre
sitzt im Rollstuhl, hat psychische Herausforderungen, seit sechs Jahren ohne Beschäftigung
PRO AKTIV: Experten vermitteln dreiwöchiges Praktikum
Das Ergebnis: Martina arbeitet 30 Stunden pro Woche in einer geförderten Beschäftigung
Diese Informationen sind Bestandteil des digitalen Jahresberichts für das Jahr 2024. Der Bericht ist am 7. Mai 2025 erschienen.