Deutsche Rentenversicherung

"Die Renten sind deutlich stärker gestiegen als die Inflation"

Datum: 14.03.2022 Interview mit: Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund Quelle: Heike Jahberg, Der Tagesspiegel

Frau Roßbach, Heizen, Strom, Tanken, Essen, alles wird teurer. Die Bundesbank erwartet für dieses Jahr eine Inflation von fünf Prozent. Frisst die Preissteigerung die anstehende Rentenerhöhung auf?
Die Renten folgen ja der Entwicklung der Löhne. Im letzten Jahr hätten die Renten daher eigentlich sinken müssen, dank der Rentengarantie ist den Rentnern das aber erspart geblieben. In diesem Jahr steht eine relativ hohe Rentenanpassung an. Ob sie über oder unter der Inflationsrate liegt, muss man abwarten.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil rechnet mit einem Plus von 4,4 Prozent im Westen und 5,1 Prozent im Osten.
Die endgültigen Zahlen bekommen wir im Frühjahr. Aber die Größenordnung dürfte hinkommen.

Eigentlich hätte die Erhöhung im Westen noch üppiger ausfallen sollen, aber die Regierung hat beschlossen, den Nachholfaktor zu aktivieren. Der verrechnet die im letzten Jahr ausgebliebene Rentenkürzung mit der jetzt kommenden Erhöhung. Sollte man diesen Schritt wegen der hohen Inflation lieber auf das nächste Jahr verschieben, um die Rentner zu schonen?
Das ist eine Frage, die die Bundesregierung entscheiden muss. Wichtig ist bei der Betrachtung auch, dass die Eckrenten von 2010 bis 2020 im Westen um über 25 Prozent und im Osten über 37 Prozent gestiegen sind und dieser Anstieg deutlich über der Entwicklung der Inflation in diesem Zeitraum lag.

Wie hoch ist die durchschnittliche Rente, wenn man planmäßig in Rente geht?
Die durchschnittliche Bruttorente nach mindestens 35 Versicherungsjahren liegt nach den aktuellen Zahlen bei rund 1.510 Euro im Westen und bei rund 1.370 Euro im Osten.

Bundeswirtschaftsminister Habeck will, dass Menschen freiwillig länger arbeiten als sie müssten. Aber das ist doch schon jetzt möglich, oder?
Ja. Was die Rente angeht, ist das schon lange möglich. Jedes Jahr, in dem man über die reguläre Altersgrenze hinaus arbeitet und Beiträge zahlt, bringt das einen jährlichen Zuschlag von sechs Prozent auf die Rente. Dazu kommen noch Erhöhungen durch die längere Beitragszahlung. Wir weisen darauf auch in der Rentenauskunft, die jeder ab 55 bekommt, ausdrücklich hin. Zu beachten ist hier aber auch das Arbeitsrecht. Arbeits- und Tarifverträge sehen noch oft fixe Endpunkte vor.

Wie viele Menschen arbeiten schon heute länger als sie müssten?
Wenn man die Minijobs ausklammert, waren es 2020 rund 42 000 Personen, die weiter Rentenbeiträge gezahlt haben. Wer das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht hat, kann sich ja aussuchen, ob er weiter einzahlt. Die meisten Älteren haben aber versicherungsfreie Minijobs und zahlen selbst keine Beiträge.

Nimmt die Zahl der Menschen, die im Alter arbeiten wollen oder müssen, zu?
Die Zahl ist gestiegen. 21.000 Menschen waren es noch 2017. Seitdem ermöglicht die Flexirente, dass man auf den Zuverdienst Rentenbeiträge zahlt.

Hören die Menschen stattdessen lieber früh auf? Wer 45 Versicherungsjahre zusammen hat, kann ja ohne Abschläge früher in Rente gehen. Gibt es eine Frührentenwelle?
2020 sind rund 250 000 besonders langjährig Versicherte, die 45 Versicherungsjahre haben, früher in Rente gegangen– ohne Abschläge; gegenüber dem Jahr davor gibt es hier einen leichten Anstieg. Von einer Frühverrentungswelle würde ich nicht sprechen.

Die Bundesbürger werden statistisch gesehen immer älter und beziehen immer länger Rente. Wäre es nicht folgerichtig, das Rentenalter heraufzusetzen. Etwa auf 70?
Wir sind ja noch damit beschäftigt, die stufenweise Rente mit 67 umzusetzen. Dieser Prozess zieht sich bis zum Jahr 2031. Das durchschnittliche Alter, zu dem die Menschen wirklich in Rente gehen, liegt derzeit bei 64,2 Jahren. Die Politik sollte die Entwicklung weiter beobachten: Arbeiten die Menschen länger? Oder nehmen sie die Abschläge in Kauf und gehen weiterhin früher in Rente?

Wie groß ist der Entscheidungsdruck?
Es bleibt noch Zeit. Bei der Einführung der Rente mit 67 gab es eine Vorlaufzeit von fünf Jahren. Und man kann diese Frage auch nicht isoliert betrachten, sondern muss die Wirkung für das gesamte System sowie auch für den Einzelnen sehen.

Sie meinen die Abschläge, die Menschen hinnehmen müssen, wenn sie die 70 nicht erreichen?
Ja. Die Politik sollte bei solchen Entscheidungen natürlich immer auch die finanziellen Folgen für die Menschen im Auge behalten.

Im Koalitionsvertrag steht: Keine Erhöhung des Rentenalters, keine Erhöhung der Beiträge, das Rentenniveau wird nicht abgesenkt. Wie will die Rentenversicherung die drei Millionen Babyboomer verkraften, die in den nächsten Jahren in Rente gehen?
In der Rentenversicherung gibt es Haltelinien. Bis 2025 darf das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken, der Beitragssatz darf nicht über 20 Prozent steigen. In dieser Legislaturperiode bewegt sich die Rentenversicherung nach den aktuellen Vorausberechnungen in diesem Korridor. Für die Zeit danach bleibt für die Politik die Frage, wie es weitergeht und wie man die Finanzierung zwischen Beitragszahlern, Rentnern und dem Staat aufteilt. Schaut man zurück, wurde in der Vergangenheit aber immer ein gesellschaftlicher Konsens für die Zukunftsfestigkeit der Alterssicherung gefunden.

Was passiert nach 2025?
Wir haben ja im Gesetz noch zwei weitere Begrenzungen: Bis 2030 dürfen die Beiträge nicht über 22 Prozent steigen und das Rentenniveau nicht unter 43 Prozent sinken. Beim Rentenniveau will die Koalition nach den Festlegungen im Koalitionsvertrag hiervon abweichen: Es soll dauerhaft nicht unter 48 Prozent sinken. Eine Entscheidung steht noch aus, wie es beim Beitragssatz langfristig weitergehen soll.

Wäre die Aktienrente eine Lösung? Wir erleben im Moment ja einen Einbruch an den Börsen wegen des Kriegs. Taugen Aktien angesichts dessen als Anlage für die gesetzliche Rentenversicherung?
Die Rentenversicherung kam ja ursprünglich aus einem kapitalgedeckten System, der Kapitalstock ist allerdings zwei Mal – während der Währungskrise in den 20er Jahren und nach dem zweiten Weltkrieg - vernichtet worden. Beide Systeme, die Kapitaldeckung und die Umlagefinanzierung, die heute für die gesetzliche Rente gilt, haben Chancen und Risiken. Was im Koalitionsvertrag steht, ist sehr interpretationsfähig. Viele Fragen sind noch offen.

Von wegen Krieg: Wie läuft die Rentenzahlung nach Russland und in die Ukraine?
Wir konnten bisher alle Auslandsrenten zahlen, und wir hatten auch keine Rückflüsse. Es geht um 1000 Renten in Russland und 250 in der Ukraine. Das Bankensystem in der Ukraine ist ja offen und wir können es nutzen. Falls die Menschen nicht an ihr Geld kommen, können wir auf ausländische Institute ausweichen, weitere Möglichkeiten prüfen wir.

Wie sieht es denn mit der Rentenkasse aus? Ist genug auf der hohen Kante?
In der Coronakrise hat sich gezeigt, wie gut unser Sozialversicherungssystem funktioniert. Die Regelungen über Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld haben dazu geführt, dass weiter Rentenbeiträge geflossen sind und größere Rentenlücken auch bei den Menschen, die kurzzeitig von der Krise getroffen waren, vermieden worden sind. Wir haben im letzten Jahr besser abgeschnitten als noch im Herbst angenommen. Die Beiträge aus Erwerbstätigkeit im Jahr 2021 lagen um vier Prozent über denen des Vorjahres Unsere Nachhaltigkeitsrücklage liegt bei 39 Milliarden Euro, was 1,62 Monatsausgaben entspricht. Wir liegen damit noch über der Obergrenze von 1,5 Monatsausgaben für den gesetzlich vorgesehenen Korridor für die Rücklage.

Wie haben Sie die 39 Milliarden Euro angelegt?
Die Nachhaltigkeitsrücklage ist eine Liquiditätsreserve. Das Geld ist in der Regel über Festgelder sicher angelegt – mit verschiedenen Laufzeiten und Zinssätzen.

Wie hoch sind Ihre Strafzinsen?
Wir haben große Teile unserer Rücklage kurzfristig anlegt, um in den aktuellen Krisenzeiten eine höhere Liquidität vorzuhalten. Da finden Sie heute kaum noch eine Bank, die keine Verwahrentgelte berechnet. Im vergangenen Jahr haben wir 150 Millionen Euro an Negativzinsen gezahlt, 2020 waren es rund 100 Millionen Euro. Da sich die Rentenversicherung zu einem ganz großen Teil im Umlageverfahren finanziert und damit eingezahlte Beiträge gleich wieder als Renten ausgezahlt werden, ist sie allerdings weitgehend unabhängig von der Zinsentwicklung. Im letzten Jahr lagen die Gesamtausgaben der Rentenversicherung bei rund 340 Milliarden Euro, die Negativzinsen für die Liquiditätsreserven machen davon nur einen Anteil von 0,04 Prozent aus.

Der Mindestlohn steigt auf 12 Euro. Haben Sie mal ausgerechnet, was Ihnen das an zusätzlichen Einnahmen bringt?
Das kann man nicht genau sagen. Wir wissen nicht, wie der Arbeitsmarkt reagieren wird. Wird die Arbeitszeit reduziert? Weichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verstärkt auf Mini- oder Midijobs aus? Bei den Minijobs wird die Grenze, bis zu der man beitragsfrei verdienen kann, ja von 450 Euro im Monat auf 520 Euro angehoben. Wir wissen, dass 80 Prozent der Minijobber für eine Versicherungsfreiheit votieren.

Die Bundesregierung will, dass Selbstständige in die Rentenversicherung aufgenommen werden. Ist das für Sie ein Segen oder eine Belastung?
Das ist eher ein sozialpolitisches Thema. Vor allem unter den Soloselbstständigen ist die Zahl derjenigen, die Grundsicherung beziehen, hoch. Es ist richtig, für Selbstständige, die nicht anderweitig abgesichert sind, eine obligatorische Alterssicherung einzuführen. Mit dem Wachstum der Plattformökonomie wird diese Frage immer wichtiger. In den meisten europäischen Ländern gibt es eine Pflichtversicherung für Selbstständigen, bei uns bisher nicht.

Sind Sie nicht noch mit der Grundrente beschäftigt?
Wir müssen bei knapp 26,5 Millionen Renten überprüfen, ob ein Anspruch auf den Grundrentenzuschlag besteht. Der Zuschlag betrifft anders als die allermeisten früheren Rentenreformen nicht nur neue Renten, sondern auch bestehende. So etwas umzusetzen, ist sehr aufwändig. Wir haben hierfür fast 1000 neue Mitarbeiter eingestellt, fast alle sind Quereinsteiger.

Wie kommen Sie voran?
Seit dem vergangenen Sommer werden alle Neurentenzugänge darauf hin überprüft, ob ein Grundrentenzuschlag gezahlt wird. Wir haben außerdem bereits für alle Rentner, die Wohngeld oder Grundsicherung bekommen, Sonderläufe gemacht. Diese Menschen sind ja besonders auf den Grundrentenzuschlag angewiesen. Danach haben wir uns alle Rentner angeschaut, die vor 1992 in Rente gegangen sind. In diesem Jahr prüfen wir die Renten, die ab 1992 begonnen haben. Bis Ende des Jahres werden wir alle Renten zur Prüfung aufgerufen haben.

Wie viele Menschen bekommen Grundrente?
Erste Zahlen haben wir erst Mitte dieses Jahres. Das Bundesarbeitsministerium geht nach Schätzungen von 1,3 Millionen aus.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir möchten gerne unsere Webseite verbessern und dafür anonyme Nutzungsstatistiken erheben. Dürfen wir dazu vorübergehend ein Statistik-Cookie setzen? Hierbei wird zu keiner Zeit Ihre Nutzung unserer Webseite mit persönlichen Daten in Verbindung gebracht.
Weitere Informationen finden Sie in der Datenschutzerklärung. Auf dieser Seite ist auch jederzeit der Widerruf Ihrer Einwilligung möglich.

OK