Deutsche Rentenversicherung

„Ich staune über die Pläne zur Mütterrente“

Datum: 15.03.2025 Interview mit: Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund Quelle: Karin Christmann, Der Tagesspiegel

Frau Roßbach, wie sehr haben Sie sich die Augen gerieben, als Sie das schwarz-rote Sondierungspapier gelesen haben?
Ich habe mich erst mal gefreut, dass Schwarz-Rot auf eine starke Wirtschaft und einen guten Arbeitsmarkt setzt, um die Rentenkasse zu stärken. Das ist ein sehr positiver Aspekt.

Und was ist negativ? Ich staune über die Pläne zur Mütterrente. Da geht es um eine sehr teure Umverteilung. Die Ausweitung der Mütterrente kostet fünf Milliarden Euro pro Jahr, aber zur Finanzierung steht nichts im Sondierungspapier. Wenn jetzt eine solche neue Leistung dazukommt, der keine Beiträge gegenüberstehen, muss sie der Fairness halber unbedingt vollständig aus Steuermitteln finanziert werden.

Sie fürchten also ein 5-Milliarden-Geschenk zulasten der Rentenkasse.
Wenn man sich entschließt, die Mütterrente durch Rentenbeiträge gegenzufinanzieren, lässt das den Beitragssatz um 0,25 Prozentpunkte steigen. Dann würden wir schon im Jahr 2027 bei einem Beitragssatz von mehr als 19 Prozent landen.

Ist denn nicht was dran an dem Gedanken, dass die Lebensleistung vieler Frauen besser gewürdigt werden muss?
Die Rentenkasse ist aber der falsche Ort, um Ungerechtigkeiten aus der Vergangenheit und unvollständige Erwerbsverläufe nachträglich heilen zu wollen. Bis in die Zehnerjahre hinein gab es einen politischen Konsens, dass Rentenreformen sich in die Zukunft zu richten haben. Da sollten wir wieder hin.

Das würde die CSU anders sehen.
Es geht hier um riesige Gesamtsummen, weil es so viele Betroffene gibt. Beim Einzelnen kommen rund 20 Euro pro Monat an, das ist für manche viel, für andere nicht. Aber ob die Politik dafür so viel Geld ausgeben will, das an anderer Stelle bitter fehlt, will gut überlegt sein.

Wie müsste eine Rentenpolitik, die nach vorne weist, aussehen, und wie viel davon ist im schwarz-roten Papier zu finden?
Wir hatten ein erfolgreiches Jahrzehnt mit hoher Beschäftigung und Zuwanderung, die Rentenkasse steht finanziell da, wo man sie haben wollte. Aber es war immer klar und eingepreist, dass durch den demografischen Wandel die Beiträge steigen werden. Diese Phase beginnt nun, das ist unausweichlich. Die Politik sollte das auch vertreten.

Der Ökonom Marcel Fratzscher ist nicht dafür bekannt, eine harte Sozialpolitik zu befürworten. Er sagt: „Die Rentenpolitik der vergangenen 20 Jahre ging zu sehr zulasten der jüngeren Generation. Ein Kurswechsel ist notwendig.“
In der Tat: Es hat Leistungsausweitungen gegeben. Insgesamt summiert sich bereits jetzt die Unterdeckung der nicht beitragsgedeckten Leistungen auf fast 40 Milliarden Euro. Das sind jetzt einfach Kosten, die da sind, und sie sind hoch. Wir können nur nach vorn schauen und uns fragen: Wie machen wir das zukünftig?

Bei Schwarz-Rot ist die Rede von einer Rentengarantie. Das würde den Nachhaltigkeitsfaktor aushebeln, der dafür sorgt, dass die Kosten des demografischen Wandels auf Alt und Jung verteilt werden, statt dass nur Junge zahlen.
Wir haben immer gesagt: Aus unserer Sicht sollte so eine Garantie gut diskutiert werden. Ist sie eingeführt, bleiben nur zwei Parteien übrig, die sie finanzieren können: der Beitragszahler oder der Steuerzahler. Den Konsens, der vor 20 Jahren gefunden wurde, um auch die Rentnerinnen und Rentner in geringem Maß einzubeziehen, fand die Rentenversicherung klug.

Ihre Empfehlung wäre, dass Schwarz-Rot es anders macht, als im Sondierungspapier vereinbart?
Die Rentengarantie ist im Papier an Bedingungen geknüpft, nämlich eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, hohe Beschäftigungsquote und angemessene Lohnentwicklung. Ich bin gespannt, wie das in den weiteren Verhandlungen ausbuchstabiert wird. Aber mir fällt auch auf, dass zwar von einer Rentengarantie die Rede ist, eine Zahl aber nicht genannt wird.

Schwarz-Rot legt sich fest, dass das Renteneintrittsalter nicht steigen soll, dabei würde das die Rentenkasse finanziell stark entlasten. Ist diese Festlegung das größte Geschenk an die ältere Generation in diesem Papier?
Unser Renteneintrittsalter steigt bis 2031 ohnehin noch stufenweise an. Ich lese den Plan so: In dieser Legislaturperiode ändert sich nichts, das wäre auch sinnlos. Aber meine Prognose ist, dass man in den nächsten vier Jahren über eine Anhebung für die Zeit ab 2032 diskutieren wird, die im Laufe der Legislaturperiode danach wirksam würde.

Schwarz-Rot setzt auf freiwillige Anreize für längeres Arbeiten. Wie viele Leute lassen sich damit überzeugen, die nicht ohnehin länger im Beruf geblieben wären?
Das ist ja eine individuelle Entscheidung. Es wird sicherlich eher darum gehen, denjenigen, die intrinsisch motiviert sind, einen zusätzlichen finanziellen Anreiz zu bieten.

Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren soll bleiben. Argumentiert wird oft mit dem sprichwörtlichen Dachdecken. Wer profitiert tatsächlich?
Wir haben keine Daten, die nach früheren Berufen aufgeschlüsselt sind. Aber wir erleben, dass von dieser Rentenart diejenigen profitieren, die eine relativ gute Rente haben, also eher ein höheres Einkommen hatten.

Selbstständige sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden, wenn sie keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind. Eine gute Idee?
Das ist längst überfällig. Wir stehen mit der bisherigen Regelung in Europa ziemlich alleine da, Altersarmut ist unter Selbstständigen ein größeres Problem. Dem Sondierungspapier zufolge scheint keine Möglichkeit vorgesehen, dieser Pflicht zu entgehen. Das finden wir gut und richtig.

Der eine oder andere Selbstständige wird sicher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen: Ich investiere doch lieber in ETFs, als mein Geld in der Rentenkasse zu versenken.
Wenn das klappen würde, müssten wir heute schon lauter super abgesicherte Selbstständige haben, die das gemacht haben und im Alter unglaubliche Mengen Geld zur Verfügung haben. Das Gegenteil ist der Fall. Ich fände sogar einen noch weitergehenden Plan als im Sondierungspapier verabredet sinnvoll: Ich bin für eine Altersgrenze, und wer jünger ist, unterliegt der Versicherungspflicht. Auch wenn die Selbstständigkeit jetzt schon besteht.

Bei welchem Alter würden Sie die Grenze ziehen?
Es bietet sich an, eine Altersgrenze zu wählen, die es gerade Soloselbständigen ermöglicht, einen Grundrentenzuschlag zu bekommen. Dafür braucht es 33 bis 35 Jahre.

Schwarz-Rot will die betriebliche Altersvorsorge stärken und die private Altersvorsorge reformieren. Was sagen Sie dazu?
Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass die Altersvorsorge auf drei Säulen ruhen soll. Doch ungefähr ein Drittel aller Menschen hat weder eine betriebliche noch eine private Altersvorsorge. Ich kann nur anregen, auch hier über Pflichten nachzudenken, beispielsweise nach dem Modell Schweden. Dort ist eine kapitalgedeckte Rentenkomponente für alle verpflichtend.

Gar nicht die Rede ist im Sondierungspapier von den Beamten. Kann es so bleiben, dass sich niemand traut, sie in die gesetzliche Rentenkasse einzubeziehen?
Wer sich an den Systemwechsel macht, hat eine Umbauzeit von an die 50 Jahren, also die Spanne eines ganzen Berufslebens. So lange gibt es Parallelsysteme und Zusatzkosten. Kommunen, Länder und Bund müssten für die Beamten, die derzeit im Beruf sind, Rentenbeiträge entrichten und gleichzeitig die Pensionen der Ruheständler schultern, das heißt doppelte Kosten für mehrere Jahrzehnte.