Das 30. Reha-Kolloquium 2021 tagte vom 22. bis 25. März und fand diesmal rein digital statt – eine Premiere und Herausforderung für die Organisatoren der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW). Doch das Konzept ist aufgegangen: „Wir hatten in diesem Jahr mehrere internationale Rednerinnen und Redner und bekamen so tiefe Einblicke in die Forschungslandschaft in und außerhalb Deutschlands und damit in andere Reha-Systeme“, sagt Dr. Susanne Weinbrenner, Leiterin des Geschäftsbereichs „Prävention, Rehabilitation und Sozialmedizin“ bei der Deutschen Rentenversicherung Bund.
„Teilhabe und Arbeitswelt in besonderen Zeiten“ lautete das Oberthema in diesem Jahr. Das Programm umfasste rund 130 wissenschaftliche Vorträge, darunter Plenarvorträge, Vortragssessions und verschiedene interaktive Diskussionsformate. Wissenschaftliche Poster wurden virtuell als E-Poster angeboten. 1116 Teilnehmende hatten sich registriert. Im Schnitt waren rund 500, in Spitzenzeiten bis zu 890 Menschen live auf der Online-Kongressplattform aktiv.
Teilhabe und Arbeitswelt in der Pandemie
„Innovation in Kooperation kann den Fortschritt beschleunigen und noch mehr Menschen eine berufliche Teilhabe ermöglichen“, so die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach, in ihrer Eröffnungsrede. Die Digitalisierung sei hierbei eine wichtige Stütze. Sie stehe beispielhaft dafür, „dass wir in der Reha immer wieder neue, innovative Wege suchen und finden, um die qualitativ hochwertigen Leistungen weiter zu entwickeln und anzubieten“. Die Präsidentin betonte auch, dass die Deutsche Rentenversicherung Menschen mit einem Post-Covid- oder Long-Covid-Syndrom multidisziplinär und mit individuell angepassten Reha-Angeboten unterstützt. Begleitende Forschungsprojekte sollten langfristig neue Erkenntnisse über die Methodenwirksamkeit liefern. „So werden wir von der zunächst reaktiven in eine aktive Pandemiebewältigung oder – besser noch – Zukunftsgestaltung übergehen können“, so Roßbach.
„Der Wandel der Arbeit in Zeiten der Pandemie fordert die Rehabilitation heraus“, erklärte Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in seinem Grußwort. Die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen müsse unter den Bedingungen der Pandemie sichergestellt werden. Die Pandemie beschleunige den Wandel der Arbeit. Die Erkrankung an Corona und ihre Langzeitfolgen erforderten neue Rehabilitationskonzepte.
„Teilhabe und Arbeitswelt“ beleuchteten auch die Professoren Dr. Matthias Bethge aus Lübeck und Dr. Ole Sten Mortensen aus Dänemark in ihrem „Tandem-Vortrag“. Ein Vergleich des deutschen mit dem dänischen Reha-System zeigte, dass es – unabhängig vom zugrundeliegenden Ansatz der Rehabilitation – ähnliche Herausforderungen für Rehabilitation gibt. Dies betrifft insbesondere die Kommunikation mit den Betrieben, mit Vorgesetzten und Arbeitgebern, aber auch die Notwendigkeit eines gut funktionierenden interdisziplinären Reha-Teams.
Die Chancen und Herausforderungen des technischen Fortschritts arbeiteten Prof. Dr. Catrin Misselhorn und Prof. Dr. Bertolt Meyer in ihren Plenarvorträgen heraus. Misselhorn gilt als Vordenkerin im Bereich der Roboter- und Maschinenethik. Sie leitet eine Reihe von Projekten zur ethischen Bewertung von Assistenzsystemen, zum Beispiel in der Pflege und in der Arbeitswelt. In ihrem Eröffnungsvortrag sprach sie über „Arbeit, Technik und gutes Leben. Perspektiven für Menschen mit und ohne Behinderung“.
Auswirkungen der Pandemie auf die medizinische Rehabilitation
Ein zweiter Schwerpunkt lag auf den rein praktischen Auswirkungen der Pandemie auf die medizinische Rehabilitation. Prof. Stefano Negrini von der Universität Mailand stellte in seinem Plenarvortrag die internationale Initiative REH-COVER der Cochrane Rehabilitation vor. Sie befasst sich mit einer kontinuierlichen Sammlung und Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu den längerfristigen Folgen von Covid-19 und der Rehabilitation der Betroffenen. Negrini machte deutlich, dass trotz schneller Reaktion der Forschung noch nicht genug Wissen dazu existiert, welche Folgen Betroffene längerfristig erfahren, was das für ihre Teilhabe an der Gesellschaft bedeutet und wie man sie rehabilitieren könnte. „Ich muss sagen, man ist hier für wissenschaftliche Verhältnisse unglaublich schnell. Und wir werden – auch dank der durch die DRV Bund geförderten wissenschaftlichen Projekte in diesem Bereich – das Wissen hierüber und damit auch die Rehabilitationsleistungen kontinuierlich weiter verbessern“, unterstrich Dr. Marco Streibelt aus der wissenschaftlichen Leitung.
Jedoch wird die Reha-Praxis noch länger mit einer gewissen Unsicherheit leben müssen, wie eine Plenardiskussion zeigte. Dr. Konrad Schultz, Dr. Thomas Sigrist und Dr. Roland Winkler, drei Chefärzte von Reha-Kliniken aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, diskutierten mit Dr. Susanne Weinbrenner, leitende Ärztin der Deutschen Rentenversicherung Bund, über ihre bislang gemachten Erfahrungen im Umgang mit dem neuen Krankheitsbild und den aktuellen Bedingungen der medizinischen Rehabilitation unter Corona-Bedingungen.
Neues Krankheitsbild: Herausforderung für die Rehabilitation
Bei dem Kolloquium wurde auch deutlich, dass die Rehabilitation gerade in doppelter Hinsicht vor großen Herausforderungen steht. Einerseits arbeiten Reha-Einrichtungen unter erschwerten Bedingungen, weil bestimmte Therapien wie Gruppenschulungen oder Vorträge anders organisiert werden müssen. Das belastet sowohl die Patientinnen und Patienten als auch die Mitarbeitenden in den Einrichtungen. Andererseits ist das Reha-System mit einem neuen Krankheitsbild konfrontiert, über das bislang gerade im Hinblick auf die Folgen für die Betroffenen wenig bekannt ist. „Wir erleben in der Praxis immer wieder – und das zeigen ja auch die ersten Forschungsergebnisse –, mit welch vielfältigen negativen Folgen Menschen nach einer Covid-19 Erkrankung zu kämpfen haben. Am häufigsten leiden die Betroffenen unter chronischer Müdigkeit, wir nennen das Fatigue. Aber auch weitere körperliche und psychische Folgen sind zu beobachten. Das erfordert einen wirklich ganzheitlichen Ansatz“, sagt Dr. Konrad Schultz. Gerade aufgrund dieser Tatsache zeigt sich der Wert der Rehabilitation für die Gesellschaft.
„Rehabilitationsleistungen sind auf die längerfristigen Folgen einer Erkrankung ausgerichtet. Ziel ist es diese zu bekämpfen und mit den Menschen Strategien zu entwickeln, wie sie auch trotz bestehender Einschränkungen wieder im privaten und beruflichen Kontext Fuß fassen können“, erklärte Brigitte Gross, Direktorin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Nur mit einem qualitativ hochwertigen Reha-System wie in Deutschland könnten betroffene Menschen auf effektive Interventionen und Leistungen zurückgreifen. Das mache die Rehabilitation aktuell wichtiger denn je, so Brigitte Gross.