Ein Artikel von Gundula Roßbach, Präsidentin der DRV Bund
Veröffentlicht in: Frankfurter Allgemeine Zeitung am 30. September 2023
Die tatsächlichen Risiken für Altersarmut werden in der aktuellen öffentlichen Diskussion häufig durch stark vereinfachte Modellrechnungen überlagert. Das schadet dem Vertrauen in die Stabilität des Rentensystems und verunsichert die Menschen unnötig.
Im Alter in Armut leben – folgt man der aktuellen Debatte, bedroht dieses Szenario inzwischen auch eine große Gruppe der Vollzeitbeschäftigten. Dabei wird der Eindruck vermittelt, gegen das Risiko von Armut im Ruhestand schütze selbst jahrzehntelange Arbeit in Vollzeit nicht mehr, eine zu geringe Rente werde zunehmend unausweichlich.
Allerdings ist diese Darstellung nicht nur faktisch falsch. Sie verstellt auch den Blick auf die tatsächlichen Risiken für Altersarmut. Eben damit kann sie sich nachteilig auf die Bereitschaft der verschiedenen Akteure auswirken, den tatsächlichen Risiken für Altersarmut durch politische, ökonomische oder persönliche Entscheidungen entgegenzuwirken - seien es Arbeitslosigkeit, geringe Löhne oder längere Phasen ohne Vollzeitbeschäftigung.
Ursache für das in der Öffentlichkeit erzeugte falsche Bild sind stark vereinfachte Rechenmodelle. Sie unterstellen, dass der betrachtete Personenkreis sein ganzes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsleben lang ein und denselben Lohn erhält – und zwar einen Anteil vom statistischen Durchschnittsverdienst, der immer gleich bleibt.
Solch eine holzschnittartige Modellrechnung kann zwar helfen, sich die Auswirkungen von niedrigen Löhnen auf die Höhe von Renten zu veranschaulichen. Sie darf aber nicht dazu dienen, daraus eine vermeintlich typische finanzielle Situation für den Ruhestand der Zukunft abzuleiten. Wer künftige Renten realistisch schätzen will, muss die Versicherungsverläufe so ganzheitlich betrachten, wie sie im wirklichen Leben geschrieben werden: mit Karriereeffekten und mit Leistungen beispielsweise für Kindererziehung.
Darüber hinaus hängt das Einkommen eines Rentners oder einer Rentnerin im deutschen Drei-Säulen-Modell auch entscheidend davon ab, welche weiteren Einkommensquellen neben der gesetzlichen Rente vorhanden sind. Es wird viel mit schiefen Zahlen zu Altersarmut hantiert. Das schadet denen, die betroffen sind.
Wir haben uns in Deutschland dafür entschieden, dass die Rente neben der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge eine geringere Rolle spielt als früher. Die über 65-Jährigen beziehen derzeit 61 Prozent ihres Alterseinkommensvolumens aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Rest ihrer Einnahmen stammt aus anderen Quellen. Auch die meisten derzeit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten werden im Alter neben ihrer Rente aus weiteren Quellen schöpfen. So haben derzeit rund zwei Drittel eine private und/oder betriebliche Altersvorsorge. Hinzu kommt der Haushaltskontext: Wer selbst nur ein geringes eigenes Einkommen hat, kann in Verbindung mit dem Einkommen des Partners trotzdem gut abgesichert sein.
Ein realistisches Bild der Einkommenslage von Rentnern vermittelt der aktuelle Alterssicherungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2020. Danach erreichen Ehepaare in Deutschland ein durchschnittliches Netto-Gesamteinkommen aus Alterssicherungsleistungen und zusätzlichen Einkommen in Höhe von 2.907 Euro im Monat. Unter den alleinstehenden 65-Jährigen und Älteren beziehen Männer im Durchschnitt ein Gesamteinkommen von 1.816 Euro, Frauen verfügen über 1.607 Euro.
Diese im Schnitt gute Lage erklärt auch, warum vergleichsweise wenig Rentner im Alter Grundsicherung beziehen müssen – im Jahr 2022 waren es 2,8 Prozent. Der Anteil ist damit deutlich geringer als in der Gesamtbevölkerung (8 Prozent). Wer Grundsicherung im Alter bezieht, kann meist keine langen Versicherungsverläufe aufweisen. Oft haben diese Menschen gebrochene Erwerbskarrieren – zum Beispiel wegen langer Arbeitslosigkeit oder wegen längerer Phasen einer selbständigen Tätigkeit ohne Beitragszahlung. Auch Menschen, die schon während ihres Erwerbslebens länger auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, haben ein höheres Risiko, im Alter Grundsicherung beziehen zu müssen.
Die einseitige Fixierung auf vereinfachende Modellrechnungen trägt der komplexen Lebenswirklichkeit nur ungenügend Rechnung. Vielmehr führt sie dazu, dass wichtige, wissenschaftlich belegte Risiken für Armut im Alter zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. Und das macht es schwieriger, zielgerichtete Maßnahmen zu entwickeln. Genau diese unterstützt die Deutsche Rentenversicherung mit ihrer Arbeit – jeden Tag.
Quelle: FAZ