Westdeutschland Mitte der 1950er-Jahre. Die Wirtschaft boomt, die Löhne steigen. Doch Millionen Rentnerinnen und Rentner leben in Armut. Die Renten sind gering, zudem haben viele von ihnen ihre Ersparnisse durch den Krieg und die Währungsreform 1948 verloren. Oft stehen sie allein und ohne finanzielle Unterstützung da, weil ihre Kinder im Krieg umgekommen sind.
Bis in die 50er-Jahre sollten Renten zu großen Teilen aus zuvor gebildetem Kapital bezahlt werden. Zwei Weltkriege und Währungsreformen haben aber immer wieder große Teile der Vermögensbestände der Rentenversicherung vernichtet.
Das ist die Ausgangslage für die Rentenreform 1957. Das Ziel: Die Politik will die Renten an die Lohnentwicklung koppeln, Rentnerinnen und Rentner am „Wirtschaftswunder“ beteiligen.
Ideen und Konzepte
Seit Anfang der 50er-Jahre wurde diskutiert, wie aus der Rente ein echter Lohnersatz werden könnte. Bundeskanzler Konrad Adenauer kündigte 1953 eine „umfassende Sozialreform“ an. Doch innerhalb der Regierung war man sich uneinig über den Weg dorthin und auch über die genaue Gestaltung der Sozialreform.
Den Durchbruch brachte 1955 ein Vorschlag des Kölner Ökonomen Wilfrid Schreiber, den er auf Wunsch von Bundeskanzler Adenauer dem Sozialkabinett der Bundesregierung vorstellte. Danach sollten alle Erwerbstätigen in die Rentenkasse einzahlen und damit die Renten der jeweiligen Rentnergeneration finanzieren. Mit der Beitragszahlung sollten sie eigene Rentenansprüche erwerben – die wiederum von der nächsten Generation finanziert werden. Der Schreiber-Plan legte die Grundlage für die Rentenreform 1957.
Die „Rentenschlacht“ im Bundestag
Die Debatte um die Rentenreform 1957 ist als „Rentenschlacht“ in die Geschichte eingegangen. Bereits im Vorfeld waren die Vorschläge im Bundestagsauschuss für Sozialpolitik und in der Öffentlichkeit heftig diskutiert worden.
Länge und Intensität vor allem der zweiten Lesung des Gesetzes spiegeln dessen Bedeutung wider. So berichtete das Magazin Der Spiegel 1957, dass das Parlament in dem viertägigen Redemarathon 271 Paragrafen, dazu rund 440 Änderungsanträge diskutierte. Einzelne Abgeordnete meldeten sich dutzende Male zu Wort.
Am 21. Januar 1957 stimmte der Bundestag der Reform mit großer Mehrheit zu.
Die Ergebnisse der Rentenreform
Statt Zuschuss zum Lebensunterhalt gibt es seit der Rentenreform 1957 eine dynamische Rente im Alter. Dabei gilt:
- Die Höhe der Rente richtet nach der Anzahl der Versicherungsjahre und dem eigenen versicherten Lohn im Verhältnis zum Durchschnittsentgelt – das Prinzip der sogenannten Beitragsäquivalenz.
- Rentenanpassungen folgen der allgemeinen Lohnentwicklung.
- Die Weichenstellung in Richtung Umlageverfahren regelt die Finanzierung der Rentenversicherung neu. Im Umlageverfahren werden Beiträge nicht angespart, sondern sofort – insbesondere als Renten – wieder ausgezahlt.
- Die Leistungen für Arbeiter und Angestellte werden angeglichen.
Die umfassende Reform der Rentenversicherung zeigt Wirkung.
- Die Renten werden sofort um rund 60 Prozent angehoben.
- Der Einstieg ins Umlageverfahren gelingt. Die von Kritikern befürchteten Folgen bleiben aus.
- Rehabilitation wird zur gesetzlichen Pflichtleistung („Reha vor Rente“). Bis 1962 verdoppelt sich die Zahl der Reha-Maßnahmen auf 650.000 pro Jahr.
Die Rentenreform 1957 hat die Basis dafür geschaffen, dass die Rentenversicherung bis heute flexibel auf Veränderungen und Herausforderungen reagieren kann. Seitdem hat die gesetzliche Rentenversicherung wiederholt ihre Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit bewiesen – ob bei der Corona-Pandemie, der Finanzkrise 2008 oder der Wiedervereinigung 1990, als Millionen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sowie Rentnerinnen und Rentner der DDR in das Rentensystem der Bundesrepublik integriert wurden. Dank ihrer Flexibilität ist die gesetzliche Rentenversicherung auch für künftige Herausforderungen gut gewappnet. So garantiert sie auch weiterhin „Sicherheit für Generationen“.