Ein Unfall oder eine schwere Krankheit haben Sie ausgebremst? Wer nicht mehr oder nur noch vermindert arbeiten kann, kann unter Umständen eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) beantragen. In Deutschland gibt es nach Angaben des Sozialverbands VdK etwa 1,8 Millionen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner. Anspruch auf diese Leistung haben alle Rentenversicherten - mit einigen Einschränkungen.
Zum einen müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Mindestversicherungszeit in der Rentenversicherung von fünf Jahren erfüllen, sagt Dirk von der Heide von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Außerdem müssten diese in den vergangenen fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre lang Pflichtbeiträge für eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit einbezahlt haben.
Daneben müssen gewisse gesundheitliche Kriterien zutreffen: Die erfüllen diejenigen, die nicht mehr in der Lage sind, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. „Die Rentenversicherung prüft dies anhand ärztlicher Unterlagen“, sagt von der Heide.
Anhand derer lotet die Versicherung aus, ob die Arbeitsfähigkeit des Antragstellers oder der Antragstellerin durch medizinische oder berufliche Reha-Maßnahmen wieder ganz oder teilweise herzustellen ist. „Diesen Grundsatz nennt man "Reha vor Rente", sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Können Reha-Maßnahmen die Arbeitsfähigkeit wiederherstellen?
Ist es nicht möglich, die Arbeitsfähigkeit durch eine Reha-Maßnahme wiederherzustellen, erfolgt eine Prüfung, in welchem zeitlichen der Antragsteller noch arbeiten kann. Davon hängt ab, ob für eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung in Frage kommt.
Diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen weniger als sechs Stunden am Tag arbeiten können, erhalten eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. „Sie soll das Einkommen aus einer noch möglichen Teilzeitbeschäftigung ergänzen“, sagt von der Heide. Ist die Erwerbsfähigkeit auf weniger als drei Stunden am Tag gesunken, gibt es die Rente wegen voller Erwerbsminderung. „Sie ist doppelt so hoch wie die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung“, so der Experte.
Für ältere Versicherte gibt es eine Sonderregel: Wer vor dem 2. Januar 1961 geboren ist, dem steht eine Teilerwerbsminderungsrente auch dann zu, wenn er oder sie zwar noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden am Tag einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, nicht aber in ihrem bisherigen Beruf.
„In diesen Fällen gibt es oft Streit darum, welche Tätigkeiten vergleichbar und zumutbar sind“, sagt Verena Bentele. Wird die Rentenzahlung abgelehnt, sollten Betroffene sich beraten lassen und gegebenenfalls Widerspruch einlegen.
Rentenhöhe berechnet sich aus den persönlichen Entgeltpunkten
Wie hoch die EM-Rente im Einzelfall ausfällt, berechnet sich aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten. Basis sind unter anderem die erreichten persönlichen Entgeltpunkte des oder der Versicherten. Zusätzlich werden erwerbsgeminderte Menschen durch eine sogenannte Zurechnungszeit so gestellt, als hätten sie mit ihrem bisherigen durchschnittlichen Einkommen weitergearbeitet und Beiträge gezahlt. „Dadurch erhalten sie eine höhere Rente“, sagt von der Heide.
Die durchschnittlich gezahlte EM-Rente lag laut der Deutschen Rentenversicherung Bund bei einem Rentenbeginn im Jahr 2020 bei 986 Euro brutto. „Häufig reicht das nicht zum Leben“, sagt Verena Bentele. Ihren Angaben zufolge bezieht deshalb fast jeder sechste Erwerbsminderungsrentner Grundrente.
Zuverdienste unterliegen gewissen Grenzen
Grundsätzlich dürfen Bezieher einer EM-Rente nebenher weitere Einkünfte erzielen. Dabei sind jedoch bestimmte Einkommensgrenzen zu beachten. Bei einem Überschreiten wird die Rente gekürzt. Für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gilt eine feststehende Hinzuverdienstgrenze. Sie liegt bei 6300 Euro im Jahr. Die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird individuell berechnet. Für 2022 beträgt sie mindestens 15.989 Euro.
Daneben spielt auch der zeitliche Umfang der Tätigkeit eine Rolle. Wer als Bezieher einer Rente wegen voller Erwerbsminderung drei und mehr Stunden am Tag oder als Bezieher einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sechs und mehr Stunden am Tag arbeitet, verliert unter Umständen seinen Rentenanspruch. Daher sollten sich Bezieher einer EM-Rente vor Aufnahme einer Tätigkeit über die Auswirkungen auf ihre Rente informieren, rät von der Heide.
Übrigens: Wer eine Rente aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung bezieht, muss dieses Geld nicht mit der Erwerbsminderungsrente verrechnen lassen. Der Grund: Die Einkommensgrenzen gelten nur bei Erwerbseinkommen, Renten bleiben davon unberührt. Es kann sich also lohnen, beizeiten eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen.
2020 wurden 42 Prozent der Anträge abgelehnt
Um eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten, muss man einen Antrag beim zuständigen Rentenversicherungsträger stellen. Im Jahr 2020 wurden laut Verena Bentele 42 Prozent der Anträge abgelehnt. Dazu heißt es seitens der Deutschen Rentenversicherung: „Ablehnungen erfolgen nur, wenn die gesundheitlichen oder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, Versicherte Ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, oder Anträge zurückgenommen werden.“
Betroffene haben einen Monat Zeit, um Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid einzulegen. Ist dieser gut begründet, kann das dazu führen, dass die Rentenversicherung die EM-Rente doch gewährt. Aber in manchen Fällen geht es nicht ohne Klage vor dem Sozialgericht. „Der entscheidende Vorteil ist hier, dass das Sozialgericht einen Gutachter einsetzen kann, der unabhängig ist“, so Bentele. Für Betroffene ist dieses Gutachten kostenfrei.
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